SCHNIPSEL:Liegt eine gewisse Geschichte hinter einem, braucht man sich wegen der
Dämonen nicht zu sorgen, die einen fortan heimsuchen. Egal, wie sehr man
sich ihnen auch verweigert, sie finden einen. Das trifft insbesondere
dann zu, wenn man über die Ursache der Dämonen kein Wort verlieren darf.
Beinahe wie in dem Film „Fight Club“. Die erste Regel des Fight Clubs
lautet ...
Nun ja, Sie wissen schon.
Über meine damaligen Einsätze darf ich auch heute noch kein Wort
verlieren. Wer aber wollte mir verbieten, darüber zu berichten, wer sich
hinter meinen Dämonen verbirgt?
Bis vor einigen Jahren war ich Hauptmann im Dienst der Bundeswehr,
Kommando Spezialkräfte, kurz KSK. Meine Einheit absolvierte drei bis
vier Operationen im Jahr, ohne offiziellen Status und selbstverständlich
ohne Rückendeckung unserer Regierung. Wir trugen nicht einmal
Uniformen, die uns einer bestimmten Nationalität zugeordnet hätten.
Unsere Aufgaben waren vielschichtig. Wir kundschafteten für verbündete
Verbände, wie den Amerikanern, den Briten oder Franzosen, eliminierten
bestimmte Personen oder Gruppen, oder befreiten Geiseln aus den Händen
irgendwelcher Warlords oder Terroristen. Die Einsatzgebiete lagen meist
im Nahen und Mittleren Osten, aber auch im ehemaligen Jugoslawien.
Richtig los ging für mich das Ganze erst mit Ausbruch des ersten
Irak-Krieges, Anfang der neunziger Jahre. In den Jahren davor, vor allem
während meiner Ausbildung, war mir nie so recht klar geworden, auf was
für einen Mist ich mich damals wirklich eingelassen hatte.
Dann aber begriff ich es. Insbesondere nachdem die Toten damit begannen,
mir ihre Dämonen zu schicken.
Die Namen- und Gesichtslosen sind nicht besonders schlimm. Irgendein
Söldner, dem man die Kehle aufschlitzt, damit er nicht Alarm schlägt,
geht einem nicht lange nach. Gleichwohl es gelogen wäre, behauptete ich,
dass mich das nicht berührt hätte. Trotzdem, mit dieser Art von Dämon
kommt man in der Regel schon klar.
Nicht so mit den Kameraden, die man gezwungen war zurückzulassen. Ihre
Dämonen sind die Pest und sie haben sehr wohl Namen und Gesichter.
Ihre Gesichter sah man lachen, fluchen und manchmal am Rand der
Verzweiflung und man erledigte in ihrer Gesellschaft Jobs, die einem
keine Arbeitsagentur vermittelt. Erst diese Namen mit den dazugehörigen
Gesichtern verleihen diesen Dämonen ihre Substanz. Mein persönlicher
Dämon hört auf den Namen Roland.
Die Einsatzbefehle kamen stets unerwartet, nicht selten als ein
nächtlicher Anruf. Meist blieben uns nicht mehr als zwei Stunden, um mit
voller Ausrüstung am Treffpunkt zu erscheinen. Eine Militärbasis, eine
Wiese, ein Feld am Stadtrand oder die Landebahn irgendeines Flughafens.
Die Einsatzbesprechung erfolgte auf dem Weg zum Einsatzort. Verlief
alles nach Plan, ging man ein paar Tage später wieder jener Tätigkeit in
seinem vertrauten Umfeld nach, die man sich als Tarnung für ein
angeblich bürgerliches Leben zugelegt hatte.
Ich hatte mich nach einigen Fehlversuchen in anderen Sparten für die
Laufbahn eines Privatdetektivs entschieden. Und glauben Sie mir,
bestimmt nicht wegen des Nervenkitzels. Der Job ist nicht einmal halb so
aufregend, wie die meisten denken, in der Regel sogar stinklangweilig,
was in meinem Fall aber besonders praktisch war. Niemand machte sich
Gedanken, wenn ich für ein paar Tage oder eine Woche von der Bildfläche
verschwand. Das trifft jetzt zwar nicht mehr zu, aber mit den Jahren
hatte ich mich an diese Art des Geldverdienens gewöhnt und inzwischen
bestreite ich damit in Vollzeit meinen Lebensunterhalt.
Seit jener Nacht, in der Roland starb. Er fiel in Syrien, nahe der
türkischen Grenze. Der bis heute andauernde Bürgerkrieg war zwar noch
nicht ausgebrochen, über dessen Vorboten aber, stolperte man bereits
allerorten.
Mit Roland hatte ich mich während der Grundausbildung angefreundet und
nach seinem Tod war er zu meinem schlimmsten Dämon geworden. In den
ersten Monaten drängte er sich nur in meine Träume. Mit seinem halb weg
gesprengten Schädel grinste er mich aus einem, von Hirnmasse und Blut
verschmiertem, Gesicht boshaft an.
„Wir sind Killer!“, hielt er mir jedes Mal vor. „Killer, im Namen des
Vaterlandes – das uns vergisst!“
Das alles folgte einem nie geschriebenen, dennoch festgelegten Drehbuch.
Jedes Wort und jede Geste – nie wich Rolands Dämon davon ab. Nach
diesen ersten Sätzen bohrten sich seine blutunterlaufenen, einstmals
blauen Augen in meinen Blick, hielten ihn fest. „Warum hast du mich im
Stich gelassen?“, fragte er, während ihm die Augäpfel aus dem Schädel
rannen, wie aufgeschlagene Eier.
Manchmal tauchten die Gesichter Petras, seiner Frau, und die seiner
beiden Töchter neben seinem auf. „Weshalb hast du Papa nicht
zurückgebracht?“, wollten sie dann von mir wissen, obwohl sie nie
erfahren hatten, was für einen Job ihr Vater tatsächlich nachgegangen
war. Meist wachte ich bei dem verzweifelten Versuch auf, mich zu
rechtfertigen und ich bekam ihre anklagenden Gesichter den ganzen Tag
über nicht mehr aus dem Kopf.
So quälend das auch war, irgendwann gewöhnte ich mich daran. Blöd nur,
dass sich Rolands „Besuche“ mittlerweile nicht allein auf meine Träume
beschränken. Manchmal sitzt er plötzlich neben mir auf dem
Beifahrersitz, wenn ich mir die nächtlichen Stunden mit einer
ereignislosen Observation um die Ohren schlage. Dann lässt er einen
Stapel blöder Sprüche los und grinst von einem Ohr zum anderen.
„Soweit hast du es also gebracht!“, höhnt er dann. „Ein fett gewordener
Privatschnüffler, der untreuen Ehemännern nachschleicht. Halleluja –
vergiss bloß nicht, mich zu erinnern, dir noch zu gratulieren!“
Wenigstens ist sein Gesicht dabei nicht mehr versehrt und er sieht so
aus, wie ich ihn aus der Zeit vor unserem letzten Einsatz in Erinnerung
habe.
Natürlich ist mir dabei schon klar, dass Roland nur ein Produkt meines
übermüdeten Verstandes ist, dennoch gelingt es mir nie, diesen „Geist“
auszublenden. Der Teil meines Gehirns, dem Rolands Dämon entstammt,
scheint nicht viel von Befehlsketten zu halten. Kann ich verstehen.
Hat er mich erst mit ausreichend Schmähungen bedacht, spricht Roland
meist Dinge an, die bereits in meinem Unterbewusstsein Gestalt annehmen,
sich von mir aber noch nicht fassen lassen. Es klingt vielleicht
merkwürdig, doch bisher halfen mir diese inneren Monologe mit meinem
toten Kameraden auf eine schwer zu fassende Weise, mit ihm und dem
ganzen verdammten Rest klar zu kommen.
In den zurückliegenden Wochen
allerdings zehrten sie zunehmend an meinen Kräften.
Besonders an den Tagen und Wochen mit mauer Auftragslage, so wie in den
letzten Märztagen, als ich mit dem Gedanken zu liebäugeln begann,
einfach hinzuschmeißen und den Laden dichtzumachen.
Wenigstens eine Zeit lang. Ein paar Monate Auszeit nehmen, eine
Weltreise antreten oder etwas in der Art. Vielleicht hatte ich ja auch
das, was man Burn-Out nennt – keine Ahnung. Ich hatte auf jeden Fall die
Schnauze gestrichen voll davon, untreuen Eheleuten nachzusteigen,
Versicherungsbetrüger oder falsche Krankmeldungen schlecht bezahlter
Angestellter aufzudecken. Die Jahre hatten mich beinahe zu so etwas, wie
einen gelangweilten Zyniker gemacht – woran meine Dämonen (Roland in
vorderster Front) sicher nicht ganz unbeteiligt waren – und mir schien
es besser, rechtzeitig die Reißleine zu ziehen.
So lenkte ich also am 29.03.2017 meinen Focus-Kombi in Richtung
Innenstadt. Die Räumlichkeiten meiner Detektei befinden sich in der
Albrecht-Dürer-Straße 12, im Erdgeschoss eines dreistöckigen
Wohngebäudes. Mein Plan für diesen Tag bestand darin, den Briefkasten zu
leeren, im Mietvertrag die Kündigungsfrist nachzulesen und meinen
Anrufbeantworter neu zu besprechen.
Verehrte Klienten, derzeit nehme ich keine weiteren Aufträge an. Ich
danke für Ihr Vertrauen.
Irgendetwas in dieser Richtung. Aber wie das mit Plänen manchmal so ist,
bevor man sich versieht, kommt einem etwas in die Quere und man wirft
sie über den Haufen.
Das Wetter schien sich an diesem Tag an meiner Gemütsverfassung zu
orientieren. Vielleicht war es ja auch umgekehrt. Tiefhängende,
zerfranste Wolken jagten über die verwinkelten Dächer der Nürnberger
Altstadt hinweg, feiner Sprühregen benetzte die Windschutzscheibe meines
Wagens. Wenigstens hatte ich den morgendlichen Berufsverkehr abgewartet
und jetzt, um kurz nach zehn Uhr vormittags, gehörten die Straßen
beinahe mir allein.
Autorenvita
Lothar Nietsch wurde am 06.02.1966 in Nürnberg geboren. Nach der
Schulzeit lernte er die Berufe Gas- und Wasserinstallateur,
Fitnesstrainer, KEP-Kaufmann, arbeitete als Handwerker, Trainer, Garten-
und Landschaftsbauer, Fahrradkurier, Geschäfts-führer eines
Kurierunternehmens und selbständiger Handwerker.
Seit 2019 verdient er seine Brötchen als Haustechniker in einem
Altenpflegeheim.
In seiner Freizeit treibt er alles Mögliche. Die meiste Zeit verbringt
er jedoch mit dem Verfassen phantastischer Texte.
Du liest gerne im Bett und möchtest deinen Partner/deine Partnerin nicht
stören, dann ist das vielleicht das richtige für dich?! Zudem ohne
Wegwerfbatterien und Stromkabel, das im Bett doch nur stören würde.
Seit 2000 zahlreiche Veröffentlichungen von Kurzgeschichten in
Literaturzeitschriften und Anthologien.
- 2015 Blut der Wiederkehr (Roman) im Arunya Verlag.
- 2018 Flaschenkind (Roman) im Arunya Verlag.
- 2018 Familienbande (Roman) Droemer Knaur.
- 2019 nominiert für den Kurt-Lasswitz-Preis in der Kategorie beste
Erzählung.
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