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Montag, 28. Dezember 2020

Simone Wind - Moro

Wie ich gerade erfahren musste, ist Simone Wind am 21. Februar 2022 verstorben. Meine Anteilnahme gilt ihrem Mann Peter und ihrem Sohn Paule.

Simone Wind

 

 

Ein altes Foto, ein Brief aus früheren Zeiten und der Name eines Schweizer Hotels. Damit macht sich Isabell auf die Suche nach ihrem unbekannten Vater. Sie ist guter Hoffnung, ihn schnell zu finden, doch die Tessiner Berge sind weitläufig. Niemand scheint ihren Vater zu kennen und eigentlich kann Isabell Berge und Wandern nicht ausstehen. Auch ihr alter Schulfreund Flo, in dessen Wildcamper-Lager sie übernachten kann, ist ihr keine große Hilfe. Doch da sind auch die Abende am Lagerfeuer, wenn der Nachthimmel über ihr steht wie ein funkelndes Zeltdach. Und sie lernt Enrico kennen, einen Einheimischen, der sie auf ihrer Suche begleitet ...Moro ist die bewegende Geschichte über die Verbindung zweier Menschen, die niemals den Glauben aneinander verloren haben. Doch werden sie auch zueinander finden? 

 

Textschnipsel 1

Als es Abend wurde, saßen sie alle wie immer am Feuer. Es war für die Camp-Bewohner eine willkommene Abwechslung, George als Gast zu haben.Pixel schleppte einen Projektor an, mit dem er die Bilder, die er gemacht hatte, in Leinwandgröße zeigen konnte. Flo hatte dafür sogar eigens ein Notstromaggregat angeworfen und aus einem Bettlaken war eine Leinwand gezaubert worden, die zwischen zwei Bäumen aufgehängt wurde. Pixel entschuldigte sich immer wieder dafür, dass die Fotos noch nicht bearbeitet waren, dabei erntete er für jedes Bild begeisterten Applaus. Tatsächlich war auf nahezu jedem zweiten Foto George zu sehen. Auf einem stand der Franzose auf einem Gesteinsvorsprung, sein schwarzes Haar, lang und gelockt, verdeckte seine Tattoos. Als er dann sprang auf dem nächsten Foto , erweckte er die breiten Schwingen auf seinen Schultern zum Leben, erhob sich wie ein Adler in die Lüfte und ließ alleglauben, dass er wahrhaftig fliegen konnte. Unter ihm das Wasser, so klar wie das Licht, sein dunkler Körper nächstes Foto tauchte in das Türkis. Jede Pore und jeder Wassertropfen waren zu sehen. Für Pixel der Shot des Sommers. Er machte seinem Namen alle Ehre.Flo brachte eine Flasche Rotwein nach der anderen und George bemühte sich zu später Stunde Deutsch zu sprechen. Die Gespräche wurden tiefgründiger. Man redete über Toleranz, Kapitalismus, das vereinte Europa und darüber, dass man immer erst abspringen müsse, wenn man fliegen wolle. Sandra, die neben Isabell saß, nahm ihre Hand und prostete ihr zu. „Darauf, dass wir alle den Mut haben, im richtigen Moment zu springen.“ „Darauf trinken wir!“, rief Flo. Isabell hob ihr Glas. „Danke, dass ich bei euch sein darf.“„Schön, dass du da bist!“, erwiderte Flo und alle stimmten ein und hoben daraufhin ebenfalls ihr Glas. Das hatte ihr schon seit langem niemand mehr gesagt, und schon gar nicht auf diese Weise. Es war bereits nach Mitternacht, da holte George Bananen aus seinem Rucksack, schlitzte sie mit seinem Taschenmesser an der Seite auf und drückte Schokoladenstückchen hinein. Birte rollte die Bananen in Alupapier ein und Marc hängte den Grillrost, der noch am Dreibein hing, über das Feuer. George legte die Bananen auf den Rost und stocherte in der zischenden Glut des heruntergebrannten Feuers herum.Als er den Nachtisch an alle verteilte und sich dabei mehrfach die Finger verbrannte, da freuten sie sich auf die Süßigkeit zu später Stunde wie kleine Kinder. Der verlockende Duft von warmer, geschmolzener Schokolade und süßer Banane war überall. Der Himmel über ihnen stand voller Sterne wie ein funkelndes Zeltdach. Alle fanden, dass sie noch nie zuvor in ihrem Leben etwas so Köstliches gegessen hätten. Erst als Isabell in ihrem Bett lag, fiel ihr wieder ein, dass sie schon den dritten Tag auf eine Nachricht von Enrico wartete. In ihrem Bulli war es stickig und heiß und sie wälzte sich von einer Seite zur anderen. Eine Mücke folgte jeder ihrer Bewegungen. Sobald sie eingenickt war, summte das Tier an ihrem Ohr oder setzte sich ihr mitten auf die Stirn oder die Nasenspitze. Isabell machte unzählige Male das Licht an, konnte sie aber nirgends entdecken. Das Summen dieses fiesen kleinen Insekts hörte sie stets nurim Dunkeln und sie bekam es einfach nicht zu fassen. Genauso wenig wie sie damit klarkam, dass Enrico seine Verabredung noch immer nicht eingehalten hatte. Wann würde er sie endlich zu der Fahrt in das andere Tal abholen? Dabei war sie nun endlich bereit,alles zu geben, um ihren Vater zu finden. Sie war bereit zu springen.

 

 

Textschnipsel 2

Akribisch durchkämmte sie das Tal, jedoch auch nach Tagen leider ohne Erfolg. Und das, obwohl sie ihre Scheu abgelegt hatte, Menschen anzusprechen. Die meisten sprachen nicht einmal Deutsch, sondern Italienisch oder einen sehr schwer verständlichen Schweizer Dialekt. Irgendwann war sie schon froh, auf ihren Wanderungen überhaupt Einheimische vor ihren Häusern anzutreffen. Wenn sie das Gefühl hatte, ein Haus wäre bewohnt, dann klopfte sie einfach. Wenn jemand öffnete, fragte sie um Hilfe: „Kennen Sie zufällig diese Person? Das Bild ist schon etwas älter. “Sie bekam alle möglichen Variationen von Antworten: „Wir sind nur Feriengäste.“ „Ich habe früher in Mailand gelebt.“ „Kenne ich nicht.“ „Noch nie gesehen.“ „Lustig, Foroglio sieht heute noch genauso aus.“ „Wenn Sie von hier sind, können Sie mir bestimmt sagen, warum aus der Steckdose in meinem Ferienhaus kein Strom kommt.“ „Wenn Sie ihn gefunden haben, grüßen Sie ihn von mir. Viel Glück noch!“Einmal traf Isabell auf einen alten Mann. Er saß auf einem Schemel vor seinem Haus, zog an einer Pfeife und grüßte sie freundlich. Seine Augen waren hellgrau und wässrig, die Haut im Gesicht schien dünn wie Papier und sein Lächeln war herzerwärmend. Er freute sich sichtlich, als Isabell ihn ansprach. Sie verstand ihn kaum, sein Schweizer Dialekt war so durchmischt mit italienischen Wörtern, dass sie sich nicht sicher war, ob er sie überhaupt verstand. Er nahm das Foto in seine zittrige Hand und blickte lange darauf. „Sieht us wi de Moro. Moro isch furt“, sagte er schließlich und deutete auf die andere Seite des Tales „Remo Martini heißt er.“ „Ja, isch Moro, gsi“, sagte der Alte beharrlich, lächelte und blickte versonnen auf das Bild. 

„KennenSie den Mann auf dem Foto denn?“, versuchte Isabell es noch einmal.„Isch de Moro, Moro furt“, wiederholte der Alte. Und so ging es eine ganze Weile weiter, bis eine junge Frau hinter dem Haus hervorkam.„Er kann es nicht so gut erkennen, er sieht kaum noch was.“ Sie wischte sich ihre von der Gartenarbeit verschmutzten Hände an einem Tuch ab und lächelte Isabell freundlich an. „Guten Tag, ich bin Isabell. Ich suche diesen Mann hier auf dem Foto, vielleicht können Sie mir weiterhelfen.“„Zeigen Sie mal.“ Sie schaute das Foto kurz an. „Nein, tut mir leid, den Mann kenne ich nicht. Ich bin aber auch schon als Kind mit meiner Mutter nach Locarno gegangen und habe dort gelebt. Nein, den Mann kenne ich nicht. Tut mir leid. “Als Isabell zurück ins Lager kam, fühlte sie sich erschöpft und innerlich leer. Wieder einmal war eine vermeintliche Spur im Sande verlaufen.

   

 

Über die Autorin  (verstorben am 21.02.2022)

Simone Wind liebt Literatur und Reisen. So entführen ihre Geschichten ihre Leser meist an Orte, an denen sie schon selbst gelebt oder die sie bereist hat. So auch in ihrem Debütroman Moro, der in der einzigartigen Natur der Tessiner Berge spielt. Simone Wind lebt mit ihrer Familie in ihrer Heimatstadt Konstanz am Bodensee.

 

 

 

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