Dienstag, 26. Januar 2021

Lothar Nietsch - Familienbande

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

SCHNIPSEL:

Liegt eine gewisse Geschichte hinter einem, braucht man sich wegen der Dämonen nicht zu sorgen, die einen fortan heimsuchen. Egal, wie sehr man sich ihnen auch verweigert, sie finden einen. Das trifft insbesondere dann zu, wenn man über die Ursache der Dämonen kein Wort verlieren darf. Beinahe wie in dem Film „Fight Club“. Die erste Regel des Fight Clubs lautet ... Nun ja, Sie wissen schon. Über meine damaligen Einsätze darf ich auch heute noch kein Wort verlieren. Wer aber wollte mir verbieten, darüber zu berichten, wer sich hinter meinen Dämonen verbirgt? Bis vor einigen Jahren war ich Hauptmann im Dienst der Bundeswehr, Kommando Spezialkräfte, kurz KSK. Meine Einheit absolvierte drei bis vier Operationen im Jahr, ohne offiziellen Status und selbstverständlich ohne Rückendeckung unserer Regierung. Wir trugen nicht einmal Uniformen, die uns einer bestimmten Nationalität zugeordnet hätten. Unsere Aufgaben waren vielschichtig. Wir kundschafteten für verbündete Verbände, wie den Amerikanern, den Briten oder Franzosen, eliminierten bestimmte Personen oder Gruppen, oder befreiten Geiseln aus den Händen irgendwelcher Warlords oder Terroristen. Die Einsatzgebiete lagen meist im Nahen und Mittleren Osten, aber auch im ehemaligen Jugoslawien. Richtig los ging für mich das Ganze erst mit Ausbruch des ersten Irak-Krieges, Anfang der neunziger Jahre. In den Jahren davor, vor allem während meiner Ausbildung, war mir nie so recht klar geworden, auf was für einen Mist ich mich damals wirklich eingelassen hatte. Dann aber begriff ich es. Insbesondere nachdem die Toten damit begannen, mir ihre Dämonen zu schicken. Die Namen- und Gesichtslosen sind nicht besonders schlimm. Irgendein Söldner, dem man die Kehle aufschlitzt, damit er nicht Alarm schlägt, geht einem nicht lange nach. Gleichwohl es gelogen wäre, behauptete ich, dass mich das nicht berührt hätte. Trotzdem, mit dieser Art von Dämon kommt man in der Regel schon klar. Nicht so mit den Kameraden, die man gezwungen war zurückzulassen. Ihre Dämonen sind die Pest und sie haben sehr wohl Namen und Gesichter. Ihre Gesichter sah man lachen, fluchen und manchmal am Rand der Verzweiflung und man erledigte in ihrer Gesellschaft Jobs, die einem keine Arbeitsagentur vermittelt. Erst diese Namen mit den dazugehörigen Gesichtern verleihen diesen Dämonen ihre Substanz. Mein persönlicher Dämon hört auf den Namen Roland. 

 

Die Einsatzbefehle kamen stets unerwartet, nicht selten als ein nächtlicher Anruf. Meist blieben uns nicht mehr als zwei Stunden, um mit voller Ausrüstung am Treffpunkt zu erscheinen. Eine Militärbasis, eine Wiese, ein Feld am Stadtrand oder die Landebahn irgendeines Flughafens. Die Einsatzbesprechung erfolgte auf dem Weg zum Einsatzort. Verlief alles nach Plan, ging man ein paar Tage später wieder jener Tätigkeit in seinem vertrauten Umfeld nach, die man sich als Tarnung für ein angeblich bürgerliches Leben zugelegt hatte. Ich hatte mich nach einigen Fehlversuchen in anderen Sparten für die Laufbahn eines Privatdetektivs entschieden. Und glauben Sie mir, bestimmt nicht wegen des Nervenkitzels. Der Job ist nicht einmal halb so aufregend, wie die meisten denken, in der Regel sogar stinklangweilig, was in meinem Fall aber besonders praktisch war. Niemand machte sich Gedanken, wenn ich für ein paar Tage oder eine Woche von der Bildfläche verschwand. Das trifft jetzt zwar nicht mehr zu, aber mit den Jahren hatte ich mich an diese Art des Geldverdienens gewöhnt und inzwischen bestreite ich damit in Vollzeit meinen Lebensunterhalt. Seit jener Nacht, in der Roland starb. Er fiel in Syrien, nahe der türkischen Grenze. Der bis heute andauernde Bürgerkrieg war zwar noch nicht ausgebrochen, über dessen Vorboten aber, stolperte man bereits allerorten. Mit Roland hatte ich mich während der Grundausbildung angefreundet und nach seinem Tod war er zu meinem schlimmsten Dämon geworden. In den ersten Monaten drängte er sich nur in meine Träume. Mit seinem halb weg gesprengten Schädel grinste er mich aus einem, von Hirnmasse und Blut verschmiertem, Gesicht boshaft an. „Wir sind Killer!“, hielt er mir jedes Mal vor. „Killer, im Namen des Vaterlandes – das uns vergisst!“ Das alles folgte einem nie geschriebenen, dennoch festgelegten Drehbuch. Jedes Wort und jede Geste – nie wich Rolands Dämon davon ab. Nach diesen ersten Sätzen bohrten sich seine blutunterlaufenen, einstmals blauen Augen in meinen Blick, hielten ihn fest. „Warum hast du mich im Stich gelassen?“, fragte er, während ihm die Augäpfel aus dem Schädel rannen, wie aufgeschlagene Eier. Manchmal tauchten die Gesichter Petras, seiner Frau, und die seiner beiden Töchter neben seinem auf. „Weshalb hast du Papa nicht zurückgebracht?“, wollten sie dann von mir wissen, obwohl sie nie erfahren hatten, was für einen Job ihr Vater tatsächlich nachgegangen war. Meist wachte ich bei dem verzweifelten Versuch auf, mich zu rechtfertigen und ich bekam ihre anklagenden Gesichter den ganzen Tag über nicht mehr aus dem Kopf. So quälend das auch war, irgendwann gewöhnte ich mich daran. Blöd nur, dass sich Rolands „Besuche“ mittlerweile nicht allein auf meine Träume beschränken. Manchmal sitzt er plötzlich neben mir auf dem Beifahrersitz, wenn ich mir die nächtlichen Stunden mit einer ereignislosen Observation um die Ohren schlage. Dann lässt er einen Stapel blöder Sprüche los und grinst von einem Ohr zum anderen. „Soweit hast du es also gebracht!“, höhnt er dann. „Ein fett gewordener Privatschnüffler, der untreuen Ehemännern nachschleicht. Halleluja – vergiss bloß nicht, mich zu erinnern, dir noch zu gratulieren!“ Wenigstens ist sein Gesicht dabei nicht mehr versehrt und er sieht so aus, wie ich ihn aus der Zeit vor unserem letzten Einsatz in Erinnerung habe. Natürlich ist mir dabei schon klar, dass Roland nur ein Produkt meines übermüdeten Verstandes ist, dennoch gelingt es mir nie, diesen „Geist“ auszublenden. Der Teil meines Gehirns, dem Rolands Dämon entstammt, scheint nicht viel von Befehlsketten zu halten. Kann ich verstehen. Hat er mich erst mit ausreichend Schmähungen bedacht, spricht Roland meist Dinge an, die bereits in meinem Unterbewusstsein Gestalt annehmen, sich von mir aber noch nicht fassen lassen. Es klingt vielleicht merkwürdig, doch bisher halfen mir diese inneren Monologe mit meinem toten Kameraden auf eine schwer zu fassende Weise, mit ihm und dem ganzen verdammten Rest klar zu kommen. 

 

In den zurückliegenden Wochen allerdings zehrten sie zunehmend an meinen Kräften. Besonders an den Tagen und Wochen mit mauer Auftragslage, so wie in den letzten Märztagen, als ich mit dem Gedanken zu liebäugeln begann, einfach hinzuschmeißen und den Laden dichtzumachen. Wenigstens eine Zeit lang. Ein paar Monate Auszeit nehmen, eine Weltreise antreten oder etwas in der Art. Vielleicht hatte ich ja auch das, was man Burn-Out nennt – keine Ahnung. Ich hatte auf jeden Fall die Schnauze gestrichen voll davon, untreuen Eheleuten nachzusteigen, Versicherungsbetrüger oder falsche Krankmeldungen schlecht bezahlter Angestellter aufzudecken. Die Jahre hatten mich beinahe zu so etwas, wie einen gelangweilten Zyniker gemacht – woran meine Dämonen (Roland in vorderster Front) sicher nicht ganz unbeteiligt waren – und mir schien es besser, rechtzeitig die Reißleine zu ziehen. So lenkte ich also am 29.03.2017 meinen Focus-Kombi in Richtung Innenstadt. Die Räumlichkeiten meiner Detektei befinden sich in der Albrecht-Dürer-Straße 12, im Erdgeschoss eines dreistöckigen Wohngebäudes. Mein Plan für diesen Tag bestand darin, den Briefkasten zu leeren, im Mietvertrag die Kündigungsfrist nachzulesen und meinen Anrufbeantworter neu zu besprechen. Verehrte Klienten, derzeit nehme ich keine weiteren Aufträge an. Ich danke für Ihr Vertrauen. Irgendetwas in dieser Richtung. Aber wie das mit Plänen manchmal so ist, bevor man sich versieht, kommt einem etwas in die Quere und man wirft sie über den Haufen. Das Wetter schien sich an diesem Tag an meiner Gemütsverfassung zu orientieren. Vielleicht war es ja auch umgekehrt. Tiefhängende, zerfranste Wolken jagten über die verwinkelten Dächer der Nürnberger Altstadt hinweg, feiner Sprühregen benetzte die Windschutzscheibe meines Wagens. Wenigstens hatte ich den morgendlichen Berufsverkehr abgewartet und jetzt, um kurz nach zehn Uhr vormittags, gehörten die Straßen beinahe mir allein.

 

 

 Autorenvita


Lothar Nietsch wurde am 06.02.1966 in Nürnberg geboren. Nach der Schulzeit lernte er die Berufe Gas- und Wasserinstallateur, Fitnesstrainer, KEP-Kaufmann, arbeitete als Handwerker, Trainer, Garten- und Landschaftsbauer, Fahrradkurier, Geschäfts-führer eines Kurierunternehmens und selbständiger Handwerker. Seit 2019 verdient er seine Brötchen als Haustechniker in einem Altenpflegeheim. In seiner Freizeit treibt er alles Mögliche. Die meiste Zeit verbringt er jedoch mit dem Verfassen phantastischer Texte. 

 

 

 

 

Du liest gerne im Bett und möchtest deinen Partner/deine Partnerin nicht stören, dann ist das vielleicht das richtige für dich?!  Zudem ohne Wegwerfbatterien und Stromkabel, das im Bett doch nur stören würde.  

 

 

Seit 2000 zahlreiche Veröffentlichungen von Kurzgeschichten in Literaturzeitschriften und Anthologien. 

  • 2015 Blut der Wiederkehr (Roman) im Arunya Verlag. 
  • 2018 Flaschenkind (Roman) im Arunya Verlag.
  • 2018 Familienbande (Roman) Droemer Knaur. 
  • 2019 nominiert für den Kurt-Lasswitz-Preis in der Kategorie beste Erzählung. 

 

Textauszüge und Schnipsel wurden vom Autor/der Autorin zur Verfügung gestellt und verbleiben in derem Eigentum. 

 

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Margarethe Magga - Die Leiche bin ich

Einen Einblick in das Buch erhaltet Ihr in dem Schnipsel vom 18.11.2020 über folgenden Link  

Eindruck vom Buch

Was einem als erstes auffällt, wenn man das Buch aufschlägt, ist der Zeilenabstand, der sicherlich doppelt so groß ist, wie man das normalerweise gewohnt ist. Apropos gewohnt. Ja, das ist ungewohnt und zu Beginn auch etwas gewöhnungsbedürftig, aber es liest sich wirklich angenehm.

Wer die ersten Seiten liest, der fragt sich lebt die Leiche der jungen Frau noch, die halb verborgen zwischen Müllcontainern in einer kleinen Seitenstraße in Bochum gefunden wird? Auf jeden Fall stellt sie selbst das in Frage und versucht auch in Dialogen mit den Menschen zu treten, die sie finden, mit den Polizisten die ermitteln, mit den Medizinern in der Gerichtsmedizin und mit ihrem Entführer. Aber leider ist es so, dass Lebende nicht aktustisch vernehmen können, was Leichen sagen. Leichname untereinander aber sehr wohl, wie der Leser im weiteren Verlauf des Romans noch erfahren soll.

Und dann gibt gleich zu Beginn noch eine weitere Überraschung, denn es kommt sicherlich nicht oft vor, dass die Leichen Ermorderter aus dem Kühlfach der Gerichtsmedizin entführt werden, und das noch bevor mit der Autopsie überhaupt begonnen werden kann.

Die ermittelnden Kommissare Felix Luppert und Björn Frauke jedenfalls stehen vor einem Rätsel.

Dem Leser wird die Lösung, aber ist es die wirklich?, schon recht früh nahe gelegt, denn der Täter ist wohl (Achtung "Spoiler"), ein Streifenpolizist, der sich den Kripobeamten regelrecht andient und von diesen dann zur Unterstützung auch angedient wird.

Eine Rolle bei den Ermittlungen spielt aber auch die junge, engagierte Journalistin Anne Greis, die den ultimativen Karrierekick wittert und noch vor den "Kollegen" der Kriminalpolizei" den richigen Riecher hat, dem Täter auf die Spur und sich so in Gefahr, ja in Lebensgefahr bringt.

Aber was steckt hinter dem Ganzen? Wenn man es auf "Auslöser" bringt, dann ist das eine Bouillabaisse die im Restaurant "Schwarzes Pferd" serviert wird.

Mehr will ich hier nicht verraten, aber diese Suppe sorgt letztendlich für den Tod von mehr als einer handvoll Toter. Und nicht nur das, diese Toten finden sich doch tatsächtlich zu einer illustren Rund mumifizierter zusammen.

Der Roman ist ein Regionalkrimi und spielt im Ruhrgebiet, was in einer durchaus lustigen Szene gipfelt, bei die Person die die Journalistin interviewt, dieser im breitesten Ruhrpottdialekt antwortete, wobei mich der Tonfall doch sehr an die schon verstorbene Schauspielerin "Tana Schanzara" erinnert hat.


Wenn du Regionalkrimis oder Kreuzfahrtkrimis liebst, dann klicke doch mal auf den entsprechenden Link und schau, welche ich auf meinem Blog schon alles vorgestellt habe. Von Hessenkrimis, Kölnkrimis, Aachenkrimis, Delmenhorstkrimis, Westfalenkrimis, Hagenkrimis, Krimis die im Schrebergarten spielen, bis zu Kreuzfahrtkrimis ist alles dabei und sicherlich noch mehr. So vielleicht ein Mord in Bochum, in Südrtirol, an der Ostsee, im Ruhrpott oder Ostfriesland? Einfach klicken und sei dabei!   
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Originalausschnitt:

[Szene, als Anne Greis an der Wohnungstür klingelt und die Wohungsinhaberin erst einmal "mit einem routinmäßigen Tadel in Richtung ihrer Kinder die Abstellmatten für schmutzige Schuhe neben der Tür" ordnet]

"Dat blaachens wieder ma! Tach auch. Ja, ich weiß ja nich so recht. Wat für'ne Fraachen denn? Mein Oller is noch auffe Schicht, in Bottrop, auf Prosper Haniel, wissen Se. Na, komm'n Se ers ma im Wohnzimmer, hier draußen rücken dich de Nachbarn auf de Pelle, wissen Se. 'n paar Monate jeht dat noch jut mit mei'm Ollen, dann is zappenduster im Pott. Im Dezember is endjültich Schicht im Schacht. Dat war et dann. Hilft ja allet nix. Setzen Se Ihnen ma ruhich auf de Schaiselong, ich mach ma'n Käffken. Damit lässt sich doch allet leichter bequasseln. Se sehn ja auch'n bissken blässkes aus. Oder soll ich Se 'n Teller Mittach waammachen? Dat Se ma wat in'n Maachen kriejen? Et jibt Möhrenuntereinander?"

 

Meinung

Für mich ist das Buch ein leicht zu lesender Roman, der zwar früh den Täter präsentiert und auch leicht erahnen lässt, warum die Menschen ermordet wurden, aber immer mal wieder Fragen offen lässt, warum der jetzt, warum die jetzt auch noch und in Szenen in einer Waldhütte gipfeln, die einen schon leicht das Schaudern überkommen lässt.

Leichen scheinen den Weg des Täters zu pflastern, Leichen die nirgendwo auftauchen, Menschen die scheinbar spurlos verschwinden. An einigen Stellen muss man sich regelrecht in die Gedanken der Schriftstellerin hineinversetzen, an anderen Stellen dagegen hätte ich, zumindest inhaltlich, schon vorher sagen können, wie es im nächsten Absatz weitergeht. 

Margarethe Magga verwendet für die Geschichte eine einfache Sprache und auch die Dialoge sind meist so gehalten. Dies passt aber (ich hoffe, ich trete den Ruhrgebietlern hier nicht auf die Füße) für mich gut in Gegend in der sie den Fall angesiedelt hat.

Auch, wenn man irgendwann die Zusammenhänge ahnt, bleibt die Geschichte spannend und es lohnt sich sie bis zur letzten Zeile zu lesen.

 

 


Buchstützen


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