Freitag, 1. November 2024

DIRK HEGMANNS Kriege in der Mitte der Welt

KRIEGE IN DER MITTE DER WELT

In Syrien tobt der Krieg zwischen Rebellen und den Soldaten Assads, in der Türkei geht die Armee mit Panzern gegen die Kurden vor. Trotz ständiger Einschüchterungsversuche und kaum verdeckter Korruption leitet Richard mit Enthusiasmus eine Flüchtlingsorganisation in der Türkei. Obwohl in seinem Leben kein Platz für eine Frau ist, verliebt er sich in die iranische Fotografin Faribaa. Durch die junge, unangepasste Frau angetrieben, stellt sich Richard mehr und mehr gegen die autoritären Zustände im Land und plant eine gemeinsame Zukunft mit Faribaa. Doch als sich Faribaa als Fotografin dem Kampf gegen den Islamischen Staat in Mossul und Rakka anschließt, nehmen die Dinge eine dramatische Wende.

 

Der Autor über das Buch und seinen Hintergrund: 


Ich habe fünf Jahre lang eines der größten aus Deutschland finanzierten Flüchtlingsprogramme in der Türkei geleitet. Ich war verantwortlich für die Programme in der Türkei, in Syrien, Irak und Libanon. Basierend auf meinen Erfahrungen ist daraus auch mein Roman entstanden, der zwar fiktiv ist, aber einige reale Elemente enthält.


TEXTSCHNIPSEL 1

Richard streckte den Kopf aus dem Seitenfenster, als der Wagen auf dem holprigen Feldweg anhielt, und horchte. Irgendwo in der Ferne, aber auch nicht allzu weit weg, grollte das Geschützfeuer der türkischen Artillerie. In einem ruhigen Rhythmus, der eine gewisse Gleichgültigkeit ausdrückte, schoss die Armee ihre Granaten hinüber auf die syrische Seite der Grenze, die nur wenige hundert Meter entfernt war. Dort drüben, unsichtbar und abwartend, verschanzten sich die Kämpfer des Islamischen Staats.


TEXTSCHNIPSEL 2

Yehia lag auf dem Bauch und spähte durch das Loch in der Hauswand. Er konnte etwa zweihundert Meter der Straße unter ihm überblicken. Es war sein Abschnitt, und es war seine Aufgabe, an dieser Stelle keinen feindlichen Kämpfer die Straße überqueren zu lassen oder besser: jeden russischen oder syrischen Soldaten auszuschalten, den er ins Fadenkreuz bekam.

Durch das Zielfernrohr suchte er die türlosen Hauseingänge, verkohlten Fensterlöcher, rauchenden Ruinen und alles andere ab, das als Deckung dienen konnte. Sein Finger lag ausgestreckt über dem Abzug seines österreichischen Präzisionsgewehrs, bereit, auf einen Impuls hin einen Zentimeter nach unten zu rutschen und abzudrücken.


TEXTSCHNIPSEL 3

Wie durch einen Nebel spürte Bassam, wie er von seinem Bruder und dem jungen Mann, halb getragen, halb gestützt, von Sawsan weggeführt wurde. Doch dann begriff er, was geschehen war. Er riss sich los und drehte sich um. Heftig atmend starrte er zu den Soldaten. Er wollte ihnen seine ohnmächtige Verzweiflung entgegenschreien, wollte sie anbrüllen und schuldig sprechen, doch seine Worte erstickten in einem unkontrollierten Schluchzen. Sein Blick traf auf einen jungen Soldaten, der mit offenem Mund dastand und ihm entgeistert in die Augen schaute. Bassam deutete auf ihn und wollte auf ihn zugehen, doch sein Bruder und der andere junge Mann griffen seine Arme und führten ihn weg von diesem Ort, vorbei an Leichen und stöhnenden Verwundeten. Erst als sie einige Straßen weiter in eine Gasse einbogen, in die sich auch andere Demonstranten geflüchtet hatten, hielten sie an und setzten sich außer Atem auf die Stufen eines Hauseingangs. Der junge Mann klopfte Bassam auf die Schulter und ging zu einer anderen Gruppe, die sich um Verletzte kümmerte.

Bassam schaute suchend um sich. Seine blutverschmierten Hände begannen zu zittern. Er starrte auf sie, Tränen rannen seine Wangen hinunter. Youssuf nahm ihn in den Arm.

Sie … Sawsan …“. Bassam rang nach Worten und schluchzte. „Sie … hat doch gar nichts gemacht … Sie haben sie … erschossen …“


TEXTSCHNIPSEL 4

Über der Stadt kreisten jetzt Hubschrauber, man sah sie nicht, aber man hörte sie. Richard schaute in mehrere Restaurants und Kneipen, doch nirgendwo lief ein internationaler TV-Sender, der ihm hätte erklären können, was genau hier vor sich ging. Der kleine Bildschirm seines Handys zeigte eine Art Liveticker, der alle paar Minuten aktualisiert wurde.

Er ging mit schnellen Schritten Richtung Hotel, als das Handy klingelte. Es war Şaban.

Wo bist du?“, fragte er. Natürlich wusste er, dass Richard in Ankara war, schließlich brauchte Richard für jede Reise sein Einverständnis. Aber es gehörte zu den Aufgaben des Sicherheitschefs, in solchen Situationen schnell zu reagieren und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

Ich habe gerade gegessen und weiß Bescheid“, erwiderte Richard. „Ich bin nicht weit vom Hotel.“

Es ist am besten, du gehst zum Hotel zurück. Es wird geschossen. Es ist ein Militärputsch!“

Das hatte ich ohnehin gerade vor“, erwiderte Richard. „Aber Schüsse habe ich noch nicht gehört.“

In diesem Moment ratterte irgendwo ein Maschinengewehr. Die Menschen auf der Straße schrien auf. Richard presste sich in einen Hauseingang. Man konnte die Richtung nicht ausmachen, woher die Schüsse abgefeuert wurden, wahrscheinlich war es einer der Hubschrauber.

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Der Autor

Dirk Hegmanns wurde in Düsseldorf geboren, studierte Germanistik, Kunstgeschichte und Soziologie in Düsseldorf und Bielefeld und promovierte in Soziologie. An der soziologischen Fakultät der Universität Bielefeld arbeitete er danach ca. zehn Jahre lang in Forschung und Lehre. 

Im Anschluss widmete er sich zunächst der internationalen Entwicklungszusammenarbeit und war schließlich seit 2010 als Experte für humanitäre Krisenintervention in unterschiedlichen Katastrophen- und Kriegsgebieten tätig. Nach vielen Jahren in Lateinamerika, Afrika und dem Nahen Osten, wo er für die Vereinten Nationen, das Rote Kreuz und andere internationale Organisationen arbeitete, lebt er jetzt wieder in Deutschland. Die Begegnungen mit fremden Kulturen und ihrer Geschichte spiegeln sich auch in seinen Veröffentlichungen wider.

 

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