Textschnipsel
Fassungslos
schaute ich mein Spiegelbild an und war der Meinung, dass es mit mir
gesprochen hat. Wurde ich verrückt oder war ich nicht richtig wach?
Schließlich hatte ich eine schlaflose Nacht hinter mir. Mein Freund
Markus war schuld daran. Ich ließ den gestrigen Abend Revue
passieren.
Dabei
hatte alles wie an jedem Freitagabend begonnen. Ich freute mich auf
unser gemeinsames Pizzaessen. Er stand wie immer mit zwei Kartons vor
der Tür und es duftete verführerisch nach meiner Lieblingspizza mit
Meeresfrüchten. Gutgelaunt begrüßte ich ihn mit einem Kuss und er
strahlte mich freudig an. So kam es mir auf jeden Fall vor.
„Hey,
gibt´s was zu feiern“, hatte ich ihn gefragt.
„Aber
sicher doch“, antwortete er.
„Na
dann, komm erst einmal herein.“
Nachdem
ich über mein Essen hergefallen war, als hätte ich drei Tage nichts
mehr gegessen, schaute ich Markus an und fragte: „So, jetzt spann
mich mal nicht länger auf die Folter und erzähle mir, was es
Schönes zu feiern gibt.“
Langsam
stand er auf, sah mich feierlich an und kniete sich vor mir nieder.
Dabei wurde mir ganz flau im Magen, ahnte ich doch, was da kommen
würde. Und so war es dann auch gewesen. Markus hatte mir einen
Heiratsantrag gemacht, mit der Absicht, sich zu verloben. Sogar die
Ringe waren in seiner Hosentasche. Was soll ich sagen? Es verlief
nicht so, wie er es sich vorgestellt hatte. Ich musste ihn ziemlich
entsetzt angeschaut haben, denn er sprang auf und sein Lächeln war
verschwunden. Schnell versuchte ich, dem Abend eine Wendung zu geben,
aber es war zu spät. Es endete im Streit. Mein Freund hatte mir an
den Kopf geworfen, dass ich ihn nicht lieben würde. Und als ich dann
nicht gleich antwortete, war er einfach davongestürmt. Mir wurde
erst bewusst, was ich angerichtet hatte, als die Wohnungstür mit
lautem Knall ins Schloss gefallen war.
Erneut
schaute ich nun in den Spiegel. Ein blasses Gesicht, umrahmt von
einer goldblonden, ungezähmten Lockenmähne, sah mir entgegen. Ich
überlegte, ob ich dabei war, meinen Verstand zu verlieren, oder ob
tatsächlich der Spiegel mit mir gesprochen hatte? Feli, also mein
Spiegelbild - eigentlich hieß ich ja auf Wunsch meiner Oma Felicitas
- hatte gesagt: „Du darfst ihn auf keinen Fall heiraten.“
Verwirrt
ließ ich mich auf dem kleinen Hocker nieder, der neben dem
Waschbecken platziert war. Ich schlug die Hände vors Gesicht. Wut
kam in mir auf. Wie hatte mich Markus nur so überrumpeln können?
Sofort wurde mir klar, wie ungerecht ich war, weil mein Freund ein
netter und einfühlsamer Mensch ist. Vor meinem inneren Auge erschien
das Bild dieses gutaussehenden Mannes mit seinen dunkelbraunen
Haaren. So akkurat, wie sein Kurzhaarschnitt, hatte er sein ganzes
Leben geplant. Er war als erfolgreicher Chirurg in einer kleinen
Privatklinik tätig. Dass er Arzt war, ließ meinen Vater, der es als
Anwalt zu etwas gebracht hatte, in volle Begeisterung ausbrechen.
Dass ich in einer gewöhnlichen Buchhandlung im Verkauf arbeitete,
anstatt „was Gescheites“, wie er sich ausdrückte, studiert zu
haben, konnte er nie verstehen.
Das
Klingeln an der Haustür riss mich aus meinen Gedanken. Wer konnte
das jetzt sein? So, wie ich gerade aussah, wollte ich eigentlich
keinen Besuch empfangen. Nach kurzer Überlegung warf ich mir einen
Bademantel über und eilte zur Tür. Nachdem ich mich mit einem
Blick, aus dem Fenster vergewissert hatte, dass es sich bei dem
Überraschungsgast um meine beste Freundin Katharina handelte, ließ
ich sie herein.
Statt
einer netten Begrüßung meinte Kathi, wie ich sie immer nannte: „Wie
siehst du denn aus? Hast du durchgefeiert?“
„Wünsche
dir auch einen guten Morgen. Komm doch herein“, rief ich ihr
hinterher, da sie schon an mir vorbeigeschossen war und sich im
Wohnzimmer auf dem riesengroßen Sofa aus rotem Stoff niedergelassen
hatte. Ausgerechnet auf meiner Lieblingsseite, wo man die Füße
hochlegen konnte. Resigniert setzte ich mich auf den anderen Teil.
„Du
kommst mitten in der Nacht hierher und wunderst dich, wie ich
aussehe?“, konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen.
„Ha,
mitten in der Nacht ist gut. Es ist 11 Uhr. Allerdings wurde ich
heute Morgen um sieben geweckt. Und weißt du auch von wem?“
„Nein.“
„Von
Markus.“
„Von
Markus?“
„Ja,
von deinem Freund.“
„Und
was wollte er“, fragte ich verständnislos.
„Wissen,
ob du einen anderen hast.“
„Das
darf doch nicht wahr sein“, entfuhr es mir.
Meine
Freundin lächelte mich an. „Ich würde vorschlagen, du machst uns
jetzt erst einmal einen Kaffee und dann erzählst du mir, was
vorgefallen ist. Was meinst du dazu?“
„Gute
Idee“, erwiderte ich zaghaft, erhob mich und stolzierte Richtung
Küche, die sich gegenüber dem Wohnzimmer befand.
Katharina
sprang ebenfalls auf, eilte zu mir, legte ihren Arm um meine
Schultern und sagte beruhigend. Du wirst sehen, nach dem Frühstück
sieht die Welt wieder ganz anders aus.
Nachdem
ich schweigend Kaffee aufgesetzt hatte und die Maschine vor sich hin
blubberte, setzte ich mich in der kleinen Küche meiner Freundin
gegenüber an den runden Tisch. Rechts und links von uns gab es nur
Küchenzeilen, mehr hatte dort keinen Platz. Es war für mich das
Schönste, mitten im Raum zu sitzen. Und alle Gäste fühlten sich
hier ebenfalls wohl, wenn man sich auch kaum bewegen konnte.
„Was
ist los?“, unterbrach Kathi die Stille.
„Puh,
stell dir mal vor, Markus hat mir gestern einen Antrag gemacht.“
„Echt
jetzt? Aber du scheinst dich nicht gerade darüber zu freuen.“
„Ach,
ich weiß auch nicht. Das kam jetzt so plötzlich“, erwiderte ich
ausweichend.
„Ich
glaube ja immer noch nicht, dass er der richtige für dich ist.“
„Jetzt
fang bloß nicht wieder mit dieser Leier an, dass…“
„Doch
genau damit. Meiner Meinung nach seid ihr, also Felix und du,
füreinander geschaffen“, beharrte Kathi auf ihrem Lieblingsthema.
„Das
ist absoluter Blödsinn“, empörte ich mich, wie jedes Mal, wenn
die Sprache darauf kam.
„Wir
kennen uns seit unserer Jugend. Felix ist mein bester Freund, so wie
du meine beste Freundin bist.“
„Nun
ja, lassen wir das Thema“, beschwichtigte Kathi mit Blick auf den
inzwischen durchgelaufenen Kaffee.
„Ah,
ich hab schon verstanden.“ Ich lächelte und erhob mich, um den
Wachmacher, Brot, Butter und Marmelade aufzutischen.
Wir
plauderten nach dem Frühstück eine Weile, aber meine Gedanken
schweiften immer wieder ab.
Nachdem
Kathi gegangen war, beschloss ich, meiner Mutter einen Besuch
abzustatten. Manchmal war sie die beste Freundin für mich.
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